Manchmal hat man einen Geistesblitz und alles ist in wenigen Minuten im Kasten. Manchmal dauert es aber Jahre oder sogar Jahrzehnte bis ein Song rauskommt, mit dem man zufrieden ist. Wir stellen Euch diesmal Kandidaten der letzten Kategorie vor.
Queen – „Bohemian Rhapsody“ (Ende der 60er – 1975)
Freddie Mercury hat schon Ende der 60er mit dem Konzept für „Bohemian Rhapsody“ angefangen. Die Lyrics des Songs stammen von einem Song-Entwurf, der von ihm damals „The Cowboy Song“ genannt wurde. Die Aufnahmen an sich gingen dann im Verhältnis relativ schnell, es hat anscheinend nur einen extrem langen Vorlauf von Freddie gebraucht, den Song in seinem Kopf zu entwerfen. Der Song erscheint dann auf dem legendären Album „A Night at the Opera“ im Jahr 1975.
My Chemical Romance – „Welcome To The Black Parade“ (2001 – 2006)
Ray Toro (Gitarrist) hat einmal erzählt, dass der Song schon entstanden ist, als die Band sich gegründet hat. Das Lied war da sehr ähnlich zu Frank Sinatras „My Way“, sehr langsam und akkordlastig. Ähnlich wie „Bohemian Rhapsody“ hat es damals noch einen anderen Titel und wird „The Five Of Us Are Dying geführt. Auf die erste Platte kommt er trotzdem nicht, weil er nicht abgemischt gewesen ist und ihnen die Zeit davonläuft. Auch auf dem zweiten Album „Three Cheers For Sweet Revenge“ ist kein Platz, weil er vom Stil nicht mehr passt.
Schließlich sitzen die Jungs an ihrem dritten Werk „The Black Parade“ und graben ihn erneut aus. Durch einen schnelleren Punkbeat versuchen Gerad Way und Co ihm neues Leben einzuhauchen und am Refrain wird etwas rumgetüftelt, aber es klappt! Nach knapp einem halben Jahrzehnt steht die finale Version und erscheint sogar als Single im September 2006.
R.E.M – „Bad Day“ (80er – 2003)
In den 80ern denken R.E.M. ursprünglich an einen Song gegen Medien (Nachrichten und Klatschblätter), weil Sänger Micheal Stipe eines Tages die Tür aufgemacht hat und ihm einfach direkt eine Kamera ins Gesicht gehalten wird. Zudem greifen sie im Text die Politik von Ex-US-Präsident Ronald Reagan auf. Ein paar Zeilen davon singt Stipe in Albany in 1985 und er wird live immer mal wieder angespielt – aber auch hier unter anderem Titel: „PSA (Public Service Announcement)“.
Schlussendlich wird der Song 2003 im Studio eingesungen und mit leicht aktualisierten Lyrics auf der Platte „In Time“ veröffentlicht. Dann auch unter dem heute bekannten Namen „Bad Day“.
Chris Cornell – „Josephine“ (2003 – 2015)
Chris Cornell schreibt den Song Anfang der 2000er für seine damalige Flamme und singt den Text seiner späteren Ehefrau Vicky am Telefon vor. Für sein zweites Studioalbum „Carry On“ (2007) wird „Vicky“ im Chorus mit „Josephine“ ausgetauscht und alles ist fix und fertig, aber Cornell ist (zu seiner eigenen Überraschung) einfach unzufrieden. Für ihn steckt in dem Song viel mehr, was er in dieser Version noch nicht sieht. Als er sich später an die Entstehungsgeschichte erinnert, erklärt er, dass er vielleicht zu nervös gewesen ist und viel zu viel nachgedacht hat. Schließlich hat er ein Lied für diejenige geschrieben, die er gerne zur Frau haben und mit der er gerne eine Familie gründen würde.
Der Song liegt auf Halde bis er das Album „Higher Truth“ (sein letztes Solo-Album) aufnimmt. Ganze zwölf Jahre bleibt das Lied unbeachtet in der Mottenkiste und als er endlich fertig ist, ist das ein ganz persönliches Highlight für Cornell. Es sei einer der befriedigendsten Momente in seinem Leben gewesen.
David Bowie – „Bring Me The Disco King“ (1990 – 2003)
„Bring Me the Disco King“ wird sogar gleich zweimal für zwei verschiedene Bowie-Alben aufgenommen ohne jemals den Cut zu schaffen. Zuerst im Vorfeld von „Black Tie White Noise“ (1993), ein weiteres Mal für „Earthling“ in 1997. Dann endlich kommt das Jahr 2003: „Bring Me The Disco King“ wird final für das 23. Album „Reality“ eingespielt.
Zwischen dem ersten Mal, dass der Name „Bring Me The Disco King“ fällt und dem finalen Release liegen schließlich 13 Jahre.
Radiohead – „True Love Waits“ (1995 – 2016)
Radioheads „True Love Waits“ ist schon über 20 Jahre ein Fan-Liebling, bevor er Mitte der 2000er erscheint. Zuerst wird der Song das Mal auf der Tour in 1995 gespielt, als sie mit dem zweiten Album „The Bends“ unterwegs sind. Für eine Album-Version ist ihnen der Song aber zu einfach, sie wollen doch nicht wie ein Singer/Songwriter klingen.
Radiohead sind es immer wieder angegangen, komplexere Versionen des Songs aufzunehmen, aber irgendwie hat es nie gepasst. Die Alben „OK Computer“ (1997), „Kid A“ (2000) und „Amnesiac“ (2001) blieben alle drei ohne „TLW“. Nur eine Solo-Live-Version von Thom Yorke wird mit „I Might Be Wrong: Live Recordings“ (2001) auf Platte gepresst. Produzent Nigel Godrich äußert sich damals dem Rolling Stone Magazin gegenüber: „Wir habe es wirklich unzählige Male versucht, es aufzunehmen, aber es ging sich nie aus. Die Ironie ist, dass due diese beschissene Live-Version hast. Man muss Thom zugutehalten, dass für ihn immer das Gefühl da sein muss, dass ein Song auch eine Berechtigung haben muss, um auf einem Album zu erscheinen. Wir hätten ‚True Love Waits‘ einfach aufnehmen und es wie John Mayer klingen lassen können. Aber keiner will das tun.“
Erst mit „A Moon Shaped Pool“ im Jahr 2016 findet der Song seinen Weg und schließt das Album als Closing Track.
Zwischen erster Live-Performance und Audio-Release liegen hier stattliche 21 Jahre.
Boston – „More Than A Feeling“ (1968 – 1976)
Gut Ding will auch hier Weile haben. Vielleicht ist das der Leitspruch von Boston-Sänger Tom Scholz gewesen als er an einem seiner ersten Songs für die Band sitzt. Von 1968 bis 1975 arbeitet der US-Amerikaner an „More Than A Feeling“, der dann als erste Single vom selbstbetitelten Debütalbum 1976 erscheint.
Aber er wird für seinen Fleiß belohnt: Das Album schlägt ein wie eine Bombe und belegt Platz Drei in den USA, Platz Vier in Deutschland und schrammt in Großbritannien mit Platz Elf nur ganz knapp an den Top-Ten vorbei. Die Platte wird zu einem der erfolgreichsten Debüts aller Zeiten. Mittlerweile sind weltweit über 20 Millionen Tonträger über den Ladentisch gegangen und in den USA steht es bei sage und schreibe 17(!)-Mal Platin!
Aerosmith – „Dream On“ (Mitte der 60er – 1973)
Steven Tyler hat rund sechs Jahre an dem Stück gearbeitet, zu Beginn ist er gerade einmal siebzehn oder achtzehn Jahre alt und an Aerosmith ist noch gar nicht zu denken. Die Band entsteht erst vier Jahre später. Zunächst nimmt er einzelne Liedfetzen als Inspiration, die er seinem Vater auf dem Piano spielen hört. So fügen sich über die Jahre immer mehr Stücke zusammen und mit seiner Band als Unterstützung klöppelt er die Nummer schließlich zu dem Lied zusammen, das wir heute kennen.
„Dream On“ braucht dann auch noch eine zweite Chance. Als allererste Single von Aerosmith chartet es 1973 zunächst weniger erfolgreich. Doch mit dem Re-Release drei Jahre später erreicht man Platz Sechs der US-Charts und es ist bis heute eine der erfolgreichsten Singles von Aerosmith.
Fun Fact: Laut Tyler ist „Dream On“ der einzige Track auf ihrem Debüt, auf dem er seine „echte“ Stimme zum Singen benutzt- Er sei wegen seiner Stimme bei anderen Songs so verunsichert gewesen und habe diese dann bewusst ein wenig tiefer eingesungen.
U2 – „Where The Streets Have No Name“ (1985 – 1987)
Die Inspiration zum Text kommt Bono auf einer Äthiopien-Reise 1985, dort haben die Straßen nämlich wirklich keine Namen, sondern Nummern. Er verknüpft das Ganze dann noch mit seinem Heimatland Irland, in Belfast sagt man nämlich, dass man anhand der Straße sagen könne, was eine Person verdient oder welcher Religion sie angehört. In Bono löst das eine Sehnsucht nach Anonymität aus. (Wenn die Straßennamen verschwinden würden, wie in Äthiopien…)
Die Musik dazu entsteht dann, als Gitarrist The Edge einfach auf seiner Gitarre herumklampft und versucht „den ultimativen U2 Song“ zu schreiben. Unter anderem die wechselnden, ganz unterschiedlichen Arrangements stellen das Produktionsteam aber auf die Probe. Produzent Brian Eno steht dann wie ein Oberlehrer vor einer Schultafel, auf der die Struktur des Songs aufgezeichnet ist. Irgendwann ist er sogar an dem Punkt, an dem er alle Aufnahmen einfach löschen und auf Neustart drücken will. Er wird zum Glück jedoch vom Sound-Techniker Pat McCarthy in letzter Sekunde davon abgehalten und nachdem insgesamt knapp zwei Jahre an dem Song herumgedoktert wurde, kommt „Where The Streets Have No Name“ 1987 endlich auf den Markt.