Nietengürtel, Lederjacken, Irokesenschnitte und Spandex-Hosen: Die Modewelt der Rock- und Metalszene ist so vielfältig wie die Musik selbst. Wir sind für Euch in die musikalischen Mode-Entwicklungen der letzten Jahrzehnte eingetaucht. Zwei Erdrutsche spielen dabei eine ganz besondere Rolle.
Wenn Ihr schon einmal Fotos von Euren jungen Großeltern gesehen habt, wisst Ihr vermutlich: Kinder und Jugendliche sahen vor Einbruch der Fünfziger-Jahre oft aus wie Ihre Eltern. So etwas wie Jugendkultur gab es praktisch nicht, Jugendkleidung höchstens als Schul-Uniform. Vor allem in der Welt junger Männer war Mode in der Regel kaum ein Thema. Vielmehr musste Kleidung praktisch sein und den Herausforderungen des oft handwerklichen Arbeitsalltags standhalten — insbesondere in der Nachkriegszeit, in der sowohl Geld als auch Material knapp waren. Doch je weiter Europa die Folgen des Zweiten Weltkriegs überwinden konnte, desto stärker wurde auch das Verständnis für schöne Kleidung. Nicht nur das: Immer deutlicher wurde die Mode zum Ausdruck von politischer Bewegung und Protest — und natürlich von Musikgeschmack. Das begann schon Anfang der 50er in England: mit den Teddy Boys.
Die Teddy Boys
Mit Kuscheleien haben die Teddy Boys nichts zu tun, im Gegenteil: Es handelt sich um eine jugendliche Protestbewegung, die zu Beginn der 50er in England aufkam. Inspiriert vom US-amerikanischen Rock ‘n‘ Roll und R&B sowie der Kleidung der Dandies, die sich an den modischen Gegebenheiten zu Zeiten von Edward VII. orientierten, brachen die Teddy Boys (und Girls!) mit dem Gedanken von Eliten. Sie kleideten sich gut und übten sich in sauberen Umgangsformen, statt sich durch Verhaltensweisen aus dem proletarischen Milieu abzugrenzen. Zu den typischen Frisuren zählt die Tolle vorne und der „Entenarsch“ hinten. Auch eine britische Band aus Liverpool, die wir alle kennen, entspringt der Welt der Teddy Boys, wie man auf alten Fotos von John Lennon und Paul McCartney sehen kann. Damals hieß die Gruppe noch The Quarrymen — doch der Name sollte sich bald ändern und in wirklich jedem Geschichtsbuch der Welt landen.
Die Beatles
Man kann sich heute nicht mehr vorstellen, was das Aufkommen der Beatles für ein popkultureller Urknall gewesen sein muss. Nicht nur, dass die vier Liverpooler sensationellerweise ihre eigenen Songs komponierten. Nein, auch visuell hatten die „Fab Four“ eine Menge zu bieten und setzten damit globale Trends. Angefangen mit den typischen Pilzkopf-Frisuren und den grauen Anzügen, die Manager Brian Epstein seinen Schützlingen verpasste, bis hin zu den aufwändigen bunten Uniformen aus der „Sgt. Pepper“-Ära, die sich an den Gehröcken zu Zeiten des britischen Königs Edward VII. orientierten: John, Paul, George und Ringo beeinflussten mit ihrem Auftreten eine ganze Generation von Jugendlichen. Wie weit das Ganze ging zeigt sich an diesem Beispiel: Als sich Paul McCartney Mitte der 60er bei einem Unfall eine Lippenspalte zuzog, ließ er einen Schnurrbart wachsen, um die Narbe zu verdecken — wenig später trug man Schnurrbart.
Die Hippies
Auch für die weiteren modischen Phänomene der 60er legten die Beatles wichtige Grundsteine, wie zum Beispiel für die Hippie-Bewegung. So führten die Hippies einige Ideen der Beat-Generation weiter, unter anderem die Verweigerung gesellschaftlicher Normen und die Kritik an den Wohlstandsidealen der Nachkriegsmittelschicht. Das äußerte sich auch in der Kleidung der Bewegung, die oftmals aus selbstgefärbten oder gar selbstgemachten Stücken bestand, die es so in keinem Geschäft zu kaufen gab. Auf diese Weise entzogen sich die Hippies der Verwertungslogik der Konsumgesellschaft und stellten der kapitalistischen Religiosität der Nachkriegszeit eigene Impulse entgegen. Die musikalischen Begleiterinnen und Begleiter der Bewegung waren unter anderem Janis Joplin, Grateful Dead und Jimi Hendrix. Den Gipfel und zeitgleich das Ende der Hippiekultur markierte das Woodstock-Festival 1969.
Glamrock
In Deutschland kam die Hippiekultur erst in den 70ern so richtig an, doch global ging es im neuen Jahrzehnt ein wenig härter zu. An die Stelle von bunt gefärbten Hippiekleidern traten Leder und Jeans-Stoff; Schlaghosen und Lederstiefel mit Absatz eroberten die Modewelt. Eine der größten Neuerungen markierte der Glam Rock, dessen große Player wie Marc Bolan und David Bowie ihre androgynen oder gar weiblichen Seiten in den Vordergrund rückten. Der Startschuss dafür ist mutmaßlich ein Auftritt von Marc Bolan mit seiner Band T. Rex, bei dem der Musiker mit Glitzer-Make-up im Gesicht auf die Bühnenbretter stieg. The Sweet und Slade trieben das ganze mit Ganzkörper-Glitzer-Anzügen auf die Spitze. Später sollte das Wörtchen „Glam“ in der Musikgeschichte gleich noch einmal eine große Rolle spielen. Doch jetzt unternehmen wir erstmal einen Ausflug in das Genre, das gegen Ende der 70er für einen weiteren kulturellen Wandel sorgte: Punk.
Punk
Knallbunte Haare, Irokesenschnitte, Nietengürtel: Unter dem Wort Punk oder dem eingedeutschten „Punker“ können sich auch die ältesten Generationen etwas vorstellen. Wie eng die Bewegung mit der Mode verknüpft ist, sieht man schon an der Geschichte der Sex Pistols. Ihre Anfangstage verbringen die Briten nämlich unter anderem in dem Bekleidungsgeschäft „Too Fast To Live, Too Young To Die“, das ursprünglich Mode aus der Zeit der Teddy Boys anbot (siehe oben), dann aber wichtige Grundsteine für die optische Entwicklung des Punk legte. Die Inhaberin Vivienne Westwood wird auch nach ihrem Tod im Jahr 2022 als absolute Punk-Mode-Ikone vereehrt und gerade auch ihre Angestellte Jordan soll eine Pionierin des Punk-Styles gewesen sein. Der zweite Mann von Vivienne Westwood, Malcom McLaren hat damals sogar für einige Jahre das Management der Sex Pistols übernommen. Musikalisch waren die Sex Pistols im Grunde völlig austauschbar, doch ihr modischer Einfluss ist noch heute spür- und sichtbar. Bis der Trend in Deutschland ankam, dauerte es noch ein paar Jahre. Doch die größten deutschen Punk-Bands Die Toten Hosen und Die Ärzte sind bis heute erfolgreich.
Glam Metal und NWOBHM
Für Rock- und Metal-Fans markieren die 80er eins der wichtigsten Jahrzehnte überhaupt. Gleich zu Beginn der Dekade veröffentlichten Iron Maiden ihr Debüt; noch in derselben Woche brachten Judas Priest ihren unsterblichen Klassiker „British Steel“ raus. Modisch orientierte sich die sogenannte „New Wave Of British Heavy Metal“ zum einen an der Optik amerikanischer Motorradclubs (Kutten, Nieten, Jeans, Leder); zum anderen griff Priest-Frontmann Rob Halford auf Elemente aus der S&M-Kultur zurück. In der Testosteron-getriebenen und zumindest latent schwulenfeindlichen Metal-Welt mutet der Gedanke eines homosexuellen Trendsetters besonders lustig an. Darüber hinaus wurde in den 80ern einiges für das Ozonloch getan, vor allem in Kalifornien. Nicht umsonst wird der Glam Metal auch „Hair Metal“ genannt; vor allem Mötley Crüe gehörten zu den großen Playern des Genres und verhalfen toupierten Haaren, Spandex-Hosen und Kajal zu neuem Ruhm.
Grunge und Crossover
Ein Massenphänomen war der Hip-Hop bereits in den 80ern, doch in den 90ern begann die anfangs afroamerikanische Kultur erstmals am Thron der Krachmusik zu sägen. So startete das Jahrzehnt zwar mit einem Rock-Knall, als Metallica, Nirvana, die Red Hot Chili Peppers und Pearl Jam 1991 einige ihrer legendärsten Alben innerhalb weniger Wochen veröffentlichten. Doch der traditionelle Metal der 80er hatte eine Dekade später eine echt harte Zeit zu verdauen. Modisch äußerte sich das durch einen stärkeren Einfluss der Hip-Hop-Kultur, zum Beispiel in Form von Basketball-Schuhen, Baggy Pants und übergroßen Shirts. Das beeinflusste auch die Welt der Radaumusik und der Nu Metal entstand. Ein weiteres Erschwernis für den traditionellen Metal war der Siegeszug des Grunge, denn von 1990 bis 1999 dominierten Bands wie Nirvana und Alice In Chains das Musikfernsehen. Hier prägten vor allem Flanellhemden, zerrissene Jeans und Chucks das Erscheinungsbild.
Emo & Screamo
Ab der Jahrtausendwende fanden Metal und Hip-Hop immer weiter zusammen. Mit ihren ersten Alben hatten Korn, Limp Bizkit und Slipknot wichtige Grundsteine gelegt; ab Oktober 2000 setzten Linkin Park noch einmal neue Standards. Modisch betrachtet verschmolzen die beiden Richtungen immer mehr zu einem großen Ganzen. Auch der Pop-Punk, der bereits in der zweiten Hälfte der 90er kräftig Fahrt aufgenommen hatte, beeinflusste das Jahrzehnt und sorgte dafür, dass Nietengürtel nicht aus der Mode kamen. Die vielleicht letzte große Mode-Bewegung der Rockmusik brachten die Spätwirkungen von Emo und Screamo hervor, deren Revival-Fans sich durch schwarze, im Gesicht hängende Haare, Piercings und pink-schwarze Kleidung auszeichneten. Im Metalcore übernahm vor allem Körperschmuck eine zentrale Rolle, ob Piercings oder häufige Besuche beim Tätowierer.
Die Mischung machts
Spätestens seit 2010 spielt die Rockmusik in der Mode nicht mehr so eine große Rolle, zumindest nicht, was das Setzen neuer Trends betrifft. Stattdessen sehen wir heute auf Festivals eine Art „Best Of“: Kuttenträger feiern Arm in Arm mit Haarspray-Vernichtern, Emos stehen inmitten finster dreinblickender Black-Metal-Anhänger und Baggy-tragende Body Count-Fans recken die Pommesgabel zu Parkway Drive. Die modische Führung im Mainstream haben längst Hip-Hop und Sport-Superstars übernommen. Im Endeffekt gilt — wie überall — die Regel: Tragt doch, was Ihr wollt. „Untrve“ ist nichts. Wer auf Uniformen steht, ist in der freiheitlichen Welt der Krachmusik einfach falsch. Es kann aber natürlich großen Spaß machen, mit der eigenen Kleidung einen Hinweis auf seine Lieblingsbands zu geben. Wir hoffen, dass wir Euch einen Überblick darüber geben konnten, welches Jahrzehnt die Mode auf welche Weise geprägt hat.