Wir alle wissen, dass Musikerinnen und Musiker ihre Alben und Songs in Aufnahmestudios einspielen. Doch was passiert eigentlich in diesen heiligen Hallen, von der ersten Demo bis zum Masterband? Wir sind für Euch in die Welt der Musikstudios eingetaucht und haben Studiobetreiber Role Wiegner von der Tonmeisterei in Oldenburg interviewt.
In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts klangen Musikaufnahmen oft noch, als kämen sie aus einer Blechbüchse. Doch beinahe 100 Jahre später sind Musikstudios ausgefeilte Techniktempel, egal, ob dort digital oder analog aufgenommen wird. Uns hat interessiert, was in einem Studio eigentlich genau passiert. Welche Rolle spielen die ersten Demos? Was gibt es vor der Aufnahme zu beachten und was währenddessen? Was bedeuten Begriffe wie „Reamping“ und was passiert beim Mixing und beim Mastering?
Mit Worten wie diesen jongliert Role Wiegner täglich. Er betreibt die Tonmeisterei in Oldenburg, in der schon Bands wie Marathonmann, Omega Massif und Long Distance Calling aufgenommen haben. Für RADIO BOB! hat sich das sympathische Nordlicht ans Telefon geklemmt und uns erklärt, worauf es bei seiner Arbeit ankommt.
Wenn man nicht gerade ein millionenschwerer Rockstar ist und sich monatelang in den teuersten Musikstudios einmieten kann, beginnt eine Aufnahme mit der Vorproduktion. So nennt sich die Phase, in der Musiker ihre Ideen festhalten, an Songs feilen und schließlich einen semiprofessionellen Mitschnitt ihrer fertigen Komposition in der Hand halten. Veröffentlichungsfertig ist die noch nicht; eine Vorproduktion hat vor allem ökonomische Gründe. Beginnt eine Band erst im Studio mit dem Songwriting oder dem Ausarbeiten der Songs, kann das schnell teuer werden. Stattdessen sollte man sich als Musiker im Studio auf die Aufnahme als solche und den Sound konzentrieren können. Das A und O ist also schon einmal, dass man als Musiker möglichst gut vorbereitet ins Studio kommt, wie wir auch später noch einmal feststellen werden. Und was passiert danach?
Der erste Schritt, wenn Role Wiegner eine Anfrage von einer Band bekommt: Er hört sich die Gruppe an. Anschließend möchte er von den Musikern wissen, was sie von ihm erwarten. Das betrifft einerseits den Klang der Produktion. Hierzu fragt Wiegner gerne nach Referenzalben, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie die Platte am Ende klingen soll. So kann er schon einmal überlegen, ob für die Sessions bestimmte Amps oder sonstiges Equipment benötigt werden, wie zum Beispiel spezielle Mikrofone. Es geht aber auch um die Frage: Soll er während der Aufnahme in das Geschehen eingreifen oder die Band lieber komplett in Ruhe lassen? Schließlich zeichnen sich Musikproduzenten unter anderem durch ihr gutes Ohr aus und können ihren Klienten Tipps geben. Das ist jedoch nicht von allen Musikern gewollt und manche reagieren allergisch auf ungefragten Input.
Wenn die Band dann in der Tonmeisterei aufschlägt, beginnt zunächst der Aufbau. Dafür bringen die Musiker ihre eigene Ausrüstung mit, schon deshalb, weil Wiegner sich für das Setup seiner Kunden interessiert. Seine Kunden greifen aber auch gerne auf den schier endlosen Fundus des Produzenten zurück. (In noch größeren Studios gibt es teils ganze Lagerhallen, aus denen sich die Musiker die unterschiedlichsten Amps, Lautsprecher, Effekte und Schlagzeugkomponenten aussuchen können.) Ab da „gucken wir, was passiert“, erklärt Wiegner mit seiner entspannten norddeutschen Art. Gelegentlich stelle sich heraus, dass die Wünsche der Band mit ihrem Equipment nicht so gut umsetzbar seien, und dann sortiere er die Technik mit seinem Team neu. Dabei vergehe durchaus mal ein halber oder ganzer Tag. Danach stehe der fertige Sound.
Die meisten Bands in der Tonmeisterei nehmen ihre Platten live auf. Natürlich kommt es auch vor, dass Gruppen ihre Spuren einzeln einspielen möchten. Das sei vor allem für sehr präzise Vorhaben ratsam. Doch wenn das Endergebnis möglichst „dirty“ sein solle, was zu Wiegners Spezialitäten gehört, dann empfehle er die gemeinsame Aufnahme. Die Musiker sollten dafür gut vorbereitet sein, denn während bei Einzel-Sessions bloß ein Künstler fehlerfrei spielen muss, sind es bei einer Gruppenaufnahme mehrere, wodurch die Fehlerwahrscheinlichkeit steigt. Außerdem lassen sich gemeinsame Sessions später nicht mehr so stark bearbeiten, was unter anderem daran liegt, dass durch die Schlagzeugmikrofone auch die Gitarre mitgeschnitten wird und umgekehrt. Eine Live-Aufnahme mache meistens mehr Spaß, erklärt Wiegner, aber beides habe seine Vorteile.
Die Aufnahmearbeit als solche kann Millimeterarbeit sein, wie Wiegner berichtet. So positioniert er bei einer Live-Session zum Beispiel auch Raummikrofone, über die er vor allem das Schlagzeug einfangen möchte. Dabei kann es passieren, dass die Gitarrenverstärker den Schlagzeug-Sound regelrecht „wegdrücken“, weshalb er sowohl auf Lautstärken achten als auch mit mobilen Schallwänden arbeiten muss. Für Röhrenverstärker nutzt er sogenannte „Power-Soaks“, denn bei einem Röhrenverstärker kann es technisch notwendig sein, dass er voll aufgedreht ist, damit sich der volle Sound des Amps entfaltet. Ein Power-Soak sitzt zwischen Verstärker und Lautsprecher und dreht quasi das fertige Signal leiser. (Die gleiche Technik ist auch für zuhause sinnvoll, wenn man mit einem Röhrenverstärker üben möchte, ohne dass die Nachbarn die Polizei rufen.)
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Wiegner ist ein Freund davon, einen Song nach dem anderen fertigzustellen, statt viel Material zu sammeln und sich anschließend ins stille Kämmerlein zu verziehen. Konkret bedeutet das: Er nimmt mit einer Band etwa zwei bis drei Takes eines Songs auf; anschließend sucht er mit den Musikern die Aufnahme aus, die sich am besten anfühlt, auch wenn darin ein paar Fehlerchen zu hören sind. Die korrigiert er entweder mithilfe der anderen Takes oder aber durch eine gezielte Neuaufnahme, sogenannte „Overdubs“. „Editieren“ nennt er diesen ganzen Prozess und dafür möchte er, dass die Band im Haus ist. Gelegentlich kommt es auch zu einem sogenannten „Reamping“, bei dem eine nackte Gitarrenspur noch einmal durch einen anderen Amp aufgenommen wird. Doch was passiert, wenn die Musiker schon wieder nach Hause gefahren sind?
„Danach steige ich in den Mix ein, den ich vor der Abreise mit der Band besprochen habe“, erzählt Wiegner. Für diesen Prozess braucht er vor allem eins: Ruhe. Ganz früher sei die Band beim Mix oft noch dabei gewesen, doch heute präsentiere Wiegner seiner Kundschaft lieber seinen fertigen ersten Entwurf. „So ein Sound ist ja nicht von Anfang an zu 100 Prozent da“, erklärt er. „Der Weg zum ersten Mix kann etwas länger dauern. Manchmal sind viele Kleinigkeiten entscheidend.“ Das sei den Bands manchmal nicht so klar wie ihm selbst, weshalb er heute lieber zuerst die Fassade zu Ende streicht, bevor er den Musikern das fertige Haus zeigt. Danach bekommt er von den Bands ein Feedback und der Mix kann in die nächste Runde gehen. In Runde drei geht es dann schon sehr ins Detail und meistens ist eine Platte danach abgemischt. Der nächste Schritt: das Mastering.
„Der Mix ist im Grunde erstmal das Grobe“, erklärt Wiegner. „Hier wird darauf geachtet, dass alle Musikinstrumente zueinander passen und dass alles zusammen rund klingt. Beim Mastering geht es darum, dass die Aufnahme später möglichst auf allen Anlagen gut rüberkommen soll. Es kann sein, dass ein Mix bei mir im Studio total super klingt, woanders aber nicht. Ich mische zum Beispiel relativ dumpf und basslastig. Ich weiß dann aber auch, dass ich das im anschließenden Mastering-Prozess ausgleichen muss. Die beiden Prozesse erledige ich immer separat. Ich beende also erst das Mixing und kontrolliere mich dann im Mastering im Grunde nochmal selbst. Da stehen dann auch nur noch die beiden Stereospuren zur Verfügung und es geht an die technischen Feinheiten, wie minimale Korrekturen im Frequenzbereich.“
Eine einzelne Mastering-Session dauert bei Wiegner in der Regel nicht länger als 15 Minuten, „weil danach die Ohren nicht mehr frisch sind“. Ein paar Stunden später geht es dann weiter, bis das gemasterte Album irgendwann fertig ist. Auch mit Referenzen arbeitet er in diesem Prozess, weil man sich sonst zu sehr reinhöre und vom Weg abkomme. Ebenfalls Teil des Mastering-Vorgangs: Dynamik-Automatisierungen. Dabei handelt es sich um ein Verfahren, mit dem ruhige Parts zum Beispiel unauffälliger gestaltet werden, „damit es danach wieder richtig ballert“, wie Wiegner beschreibt. „Ich versuche ja auch so einen gewissen Druck zu erzeugen, damit alles schön kraftvoll klingt. Dadurch werden ruhige Parts aber oft zu laut und das automatisiere ich dann. Dadurch kommt im Endeffekt alles besser zur Geltung.“
Ein weiterer Punkt, der beim Mastering beachtet werden muss: Das Mastering für eine Schallplatte und das Mastering für CDs und Streaming-Dienste unterscheiden sich. „Oft erstelle ich erstmal so ein Mittelding aus beidem“, erklärt Wiegner. „Anschließend stelle ich die Filter für die unterschiedlichen Ausgabemedien noch einmal neu ein. Für Vinyl braucht es ab einem bestimmten Frequenzbereich zum Beispiel eine Monokompatibilität. Am Ende kommt es immer darauf an, wie eine Band ihre Musik veröffentlichen möchte.“ Die Veröffentlichung, das ist der letzte Schritt einer Albumaufnahme. Damit hat Role Wiegner nichts mehr zu tun. Abgesehen von der Freude, die sich einstellt, wenn er die fertige Platte im Laden sieht und weiß: In dieses Schmuckstück haben die Band und ich jede Menge Arbeit gesteckt.
Newcomer
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